Oh je, wo fange ich bloß an? Vielleicht mit einem Aufhänger wie: „Wie aus Hass, Sanftmut wurde?“ oder „Wie aus theologischer Erkenntnis Sanftmut wurde?“ oder vielleicht ganz neutral „Über die Ambivalenz des Paulus!“ …
Ich denke, man würde so einige passende Überschriften finden, die meinen Konflikt mit Paulus beschreiben würden. Es gibt aus christlicher Perspektive wohl niemanden, der mir mehr aufstößt als Paulus und niemanden, der mich emotional mehr aufgewühlt hat als dieser Paulus. Aber ich stehe mit meinem Problem und Kritik definitiv nicht alleine da und es gibt gefühlt keine andere Persönlichkeit im Christentum, die auf eine ganz bestimmte polarisierende Weise die Gemüter zum kochen bringt und spaltet. Von der ersten Stunde seines Wirkens, bis heute!
So möchte ich in diesem Blogbeitrag eine bewegende Episode teilen, die ich als Christ durchlebt habe. Die mit tiefster Verachtung auf Paulus begann und dann dank eines Bruders, der mich zur Besinnung brachte und durch theologische Erkenntnis in Sanftmut endete. Vielleicht gelingt es mir all jene die aktuell noch einen Groll und Konflikt auf Paulus haben zum Nachdenken anzuregen, denn einiges das zum Konflikt führt, basiert auf Missverständnisse und auch Übersetzungsfehler.
Eines möchte ich vorweg sagen: Mir ist bewusst, dass dieses Thema sehr sensibel ist, zweifellos kontrovers und polarisierend wirken kann. Meiner Meinung nach ist es jedoch wichtig zu zeigen, dass man auch als Christ, gerade in der Anfangszeit, in der man noch neu im Glauben ist und Verführungen lauern, sich schnell auf einen falschen Weg begeben kann. Es ist daher meiner Ansicht nach gut, ehrlich mit sich selbst zu sein und sich eingestehen, wenn man sich falsch verhalten hat oder auf die falschen Geister gehört hat.
Die Vorgeschichte:
Als ich damals noch neu im Glauben an unseren Herrn Jesus und im Christentum war, legte ich in meinem Glauben besonderen Wert auf Originalität und Authentizität. Aufgrund ihrer Historie war mir die katholische Kirche und ihre Interpretation des Glaubens zunächst äußerst suspekt. Ich zweifelte schon früh an ihrer Glaubwürdigkeit und betrachtete ihre Lehren als verfälscht.
Deshalb suchte ich nach einer Person oder einem Zeitpunkt, den ich dafür verantwortlich machen konnte. Durch Brüder und Schwestern, die damals in einer größeren Online-Community Beiträge veröffentlichten, stieß ich auf die bekannte „Paulus-Kritik“. Damit begann für mich eine beschämende Phase.
Es ging mir um die gesamte Person Paulus: Seine Rolle als Begründer des Christentums, seine befremdliche Vita und Geschichte, sein hochmütiges und respektloses Verhalten gegenüber Petrus, seine widersprüchliche Theologie, die weit entfernt von den Lehren Jesu ist, sowie die Tatsache, dass seine Briefe nie für eine Kanonisierung vorgesehen waren. Für mich war besonders schwerwiegend, dass er seine Lehre über die von Jesus stellte, vor allem in Fragen wie den jüdischen Festen, der Beschneidung und der Einhaltung des Sabbats usw.
Hinzu kam in der Anfangszeit der Kirchenväter der völlig überzogene Antisemitismus, der mich einfach wütend machte, sowie die Verfolgung von Brüdern und Schwestern mit anderer Meinung.
All diese Erfahrungen ließen mein Herz verhärten. Ich entwickelte regelrechte Verachtung auf Paulus und sah mich gezwungen, die Lehren Jesu zu verteidigen. Ich verachtete Paulus und betrachtete ihn als Helfer des Antichristen, der die wahre Lehre verfälschte. Dabei erkannte ich nicht, dass ich im Geiste selbst ganz anders war, als Jesus es von uns erwartet.
Paulus enttäuschte mich schlichtweg und machte mich wütend. Wie konnte er nur Gesetz und Tradition verwerfen, er war es, der diese Irrlehre, dieses Gift in die Welt brachte … Das war mein Denken zu dieser Zeit. Einerseits wünschte ich mir Teil der echten jüdischen Urgemeinde zu sein um damit sicherzustellen, das ich an der Quelle der Wahrheit war und andererseits wollte ich Paulus und seine auf ihn aufbauende Kirchen Institution am liebsten brennen und fallen sehen.
Wer sich jetzt fragt, warum mich eine historische Person dermaßen wütend macht, dass ich mich regelrecht in eine Sache verrenne, dem sei gesagt: Es gibt bei mir verschiedene Gründe dafür. Das wichtigste und bis heute bestehende Anliegen ist, dass mir Originalität und Authentizität im Glauben extrem wichtig sind. Wenn man sich tiefer mit seinem Glauben beschäftigt und die historischen Fakten nicht außen vor lässt, stellt man sehr schnell fest, dass viele Briefe, die Paulus zugeschrieben werden, tatsächlich nicht von ihm stammen. Vielmehr stammen sie oft von Schülern und Anhängern der paulinischen Schule. Das erklärt auch, warum die Lehren Jesu und die Theologie Paulus’ so widersprüchlich sind.
Natürlich, jemand der blindes vertrauen in den Menschen hat und die Lehre ohne zu Hinterfragen annimmt, der hat logischerweise auch keine Kenntnis, von den Hintergründen. Für jemanden, dem Originalität und Authentizität besonders wichtig sind, ist das alles selbstverständlich nicht vereinbar. Das war für mich der Auslöser, mich auf einen Irrweg zu begeben.
Hass macht hässlich:
Nachdem die Wut durch ein Ventil in mir verpufft war und ich nach und nach zur Besinnung kam, wurde mir klar, dass dieser Groll gegen Paulus mich immer mehr vom Glauben entfernte, etwas, das ich definitiv nicht wollte. Deshalb beschloss ich, im Geiste von ihm Abstand zu nehmen und mich stattdessen intensiver mit der Theologie des Jakobus zu beschäftigen, die ich als authentischer empfand.
So entwickelte ich große Sympathie für die Urgemeinde, die Nazarener, sowie für die Ebioniten, Elkesaiten und die messianische Bewegung. Auch sah ich mich dem christlichen Philosemitismus verpflichtet. Die paulinische Theologie versuchte ich hingegen möglichst zu vermeiden, da sie für mich nicht authentisch wirkte. Auf diese Weise konnte ich meinen Glauben eine Zeit lang vertiefen und wichtige Erkenntnisse gewinnen, die meine Glaubenselemente festigten.
Ein wenig amüsant auch irgendwie, denn da wo Marcion, die Marcioniten, die Tora, das komplette Alte Testament aus dem Kanon nehmen wollten, wollten die treuen Jesus Anhänger und Nachfolger der Nazarener genau das Gegenteil und stützen sich auf Jakobus.
Einige Jahre später, die Erkenntnis und die Sanftmut:
Zu diesem Zeitpunkt war das Thema Paulus für mich abgeschlossen. Die Abneigung gegen ihn saß aber noch tief in mir. – Eines Tages kam es dann dazu, dass ein Bruder über die Ferne mich ansprach und all jene, die wie ich einen großen Konflikt mit der Theologie Paulus hatten. Es war ein Moment, wo der Heilige Geist sich wider ganz besonders zu erkennen zeigte und über den Bruder eindeutig mahnend verlauten ließ, dass es besser ist, nicht denn Knecht Gottes (Paulus) als Irrlehrer oder gar Helfer des Anti-Christen zu diffamieren. Es war mehr als nur eine mahnende Warnung, denn sie wirkte tief.
Doch es gab noch eine weitere Impulsgebung: Statt Paulus selbst zu verurteilen, sollte man vielmehr das Problem erkennen. Wenn man Schwierigkeiten mit seiner Theologie habe, sei es in Ordnung, diese offen anzusprechen, solange man dabei klar macht, dass man seine Gedanken nicht vollständig nachvollziehen kann. Es ging also darum, den Fokus auf die Theologie und nicht auf die Person Paulus zu legen.
Seit diesem Tag hat sich der Schleier vor meinen Augen gelöst. Durch diese erkenntnisreiche Erfahrung konnte ich meinen Groll abbauen. Seitdem betrachte ich Paulus wesentlich sanfter – vielleicht auch durch die historische Brille, die ihn als eine Figur zeigt, die von Ambivalenzen geprägt ist, wie sie bis heute nicht zu leugnen sind. Salopp gesagt, Paulus ist und bleibt der Inbegriff der Ambivalenz.
Es ist schwierig, Paulus’ Theologie vollständig zu verstehen, da es an zeitgenössischen Quellen fehlt. Das macht die Sache komplex und schwer nachvollziehbar. Es waren die damaligen Zeiten, die vorherrschenden Umstände, die Aufbruchstimmung, die politischen Machtverhältnisse sowie die Verfolgungen und Anfeindungen – eine turbulente Zeit. All diese Faktoren müssen berücksichtigt werden, um seine Theologie zu verstehen.
Auch wenn Paulus nachweislich eigenwillig war und manchmal im Eigeninteresse handelte, muss man deutlich sagen: Ohne ihn wäre das Christentum heute nicht die weltweit größte Religion. Durch ihn haben wir Jesus kennengelernt. – Diese Erkenntnis macht mich sanfter im Umgang mit seinem Wirken und seiner Person.
Wo bin ich heute?
Nach weiteren Jahren bin ich nun an einem Punkt angekommen, an dem ich die Theologie des Paulus zwar tatsächlich toleriere, sie jedoch nicht vollständig akzeptieren kann. Das liegt vor allem daran, dass ich aus meiner theologischen Überzeugung und Gewissen heraus einfach nicht dazu in der Lage bin. Ich bin überzeugt, dass Paulus, wenn er es gewollt hätte, auch einen anderen Weg hätte finden können – einen Weg, der die jüdischen Traditionen wie Beschneidung, den Sabbat und die alten Feste nicht aufgeben musste, um die Heidenchristen anzusprechen. Diese radikale und eigenwillige Position halte ich für nicht notwendig, da es bereits genügend Heiden gab, die keinerlei Probleme mit dem Alten Bund und den Traditionen hatten. Historischen Schätzungen aus, gab es zu dieser Zeit gut 4000 Proselyten nicht jüdischer Abstammung, die in Paulus seinen Lehren eine Abkehr von dem sahen, was die Jünger die Jesus direkt kannten einst lehrten.
Man darf nie vergessen: Wir Christen haben uns beim Fundament des Judentums bedient, nicht umgekehrt. Jesus wollte keinen völlig neuen Glauben schaffen, sondern eine Reform dessen, was bereits bestand. Im Gegenteil: Im Evangelium des Matthäus macht Jesus unmissverständlich klar, dass kein einziges Detail des Gesetzes (Tora) aufgehoben werden darf. Bis Himmel und Erde vergehen, bleibt alles gültig.
Da ich Jesus hier grundsätzlich höher schätze als Paulus und durch Paulus‘ Theologie ein Widerspruch zu den Aussagen Jesu besteht, kann ich mit den Lehren des Paulus in meinem Gewissen nicht vollständig übereinstimmen. Für mich gilt weiterhin das, was in der Bibel von Jesus steht. Dennoch respektiere ich seine Positionen als berechtigt und akzeptiere sie als Teil der Diskussion.
Tatsächlich ist das mein Hauptkritikpunkt, also die Verwerfung der Tradition, Bünde, alten Feste und natürlich den Sabbat. Mit allem anderen gehe ich theologisch ja mit und halte es für authentisch.
Zwei Dinge haben mir am Ende geholfen Paulus zu tolerieren. Zu einem war es ein Gespräch, das Jesus mit Hananias in Damaskus führte. Apostelgeschichte 9,15-16.
Apostelgeschichte 9,15-16 Der Herr aber sprach zu ihm: Geh nur! Denn dieser Mann ist mir ein auserwähltes Werkzeug : Er soll meinen Namen vor Völker und Könige und die Söhne Israels tragen. Denn ich werde ihm zeigen, wie viel er für meinen Namen leiden muss.
Apostelgeschichte 26,17 Ich will dich aus dem Volk und den Heiden aussondern, zu denen ich dich sende.
Matthäus 10,5 Diese Zwölf sandte Jesus aus, gebot ihnen und sprach: Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht nicht in eine Stadt der Samariter …
Jakobus 1,2-3 Nehmt es voll Freude auf, meine Brüder und Schwestern, wenn ihr in mancherlei Versuchungen geratet! Ihr wisst, dass die Prüfung eures Glaubens Geduld bewirkt.
Römer 7,12 Deshalb ist das Gesetz heilig und das Gebot ist heilig, gerecht und gut.
Matthäus 5,18-19 Amen, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird kein Jota und kein Häkchen des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist. Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich.
Kommentare zu diesem Blogeintrag
Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Blogeintrag.